Sexy Cheyenne?
May 5, 2022Einen täglichen Blog zu schreiben ist zu manchen Zeiten ein ziemlich unmögliches Unterfangen – vor allem, wenn man so beschäftigt ist, dass das Haarewaschen darunter leidet.
Wer meinen englischsprachigen Twitteraccount (@TamarasDiary) täglich verfolgt weiß, dass ich derzeit für meine Ex-Chefin unterwegs bin und quasi täglich Flüge von Norwegen 🇳🇴 nach 🇵🇱, nach 🇲🇩 und auch nach 🇩🇪 unternehme. (Die dritte Flagge ist die von Moldavien, falls es jemand immer noch nicht weiß. Den Rest dürft ihr googeln.) Grund für die Fliegerei ist der verdammte Krieg in der 🇺🇦 und das Flüchtlingsdrama, das daraus entstanden ist. An dieser Stelle möchte ich dazu nicht mehr sagen, als:
WIR BRAUCHEN FRIEDEN, NICHT NOCH MEHR WAFFEN! Alles was die Leute möchten, ist zurück nach Hause gehen!
Was manche jahrelangen Leser meines Blogs vielleicht interessieren wird: Nein, ich habe kein Verhältnis mit Cheyenne, auch wenn der Eine oder Andere es vielleicht schade findet. Sie ist in kürzester Zeit eine verdammt gute Freundin geworden, nicht mehr, nicht weniger.
Cheyenne ist gleichzeitig so stark und so schwach: Sie schuftet den ganzen Tag und legt eine Power und eine Souveränität an den Tag, wie ich sie noch nie gesehen habe. Und abends liegt sie in meinen Armen und heult. “Ich brauche das, damit ich den nächsten Tag schaffe!”, erklärt sie mir.
Ich habe noch nie gesehen, dass jemand fremden Menschen zur gleichen Zeit so viel Bestimmtheit und so viel Mitgefühl geben kann. Sie muss eine Reinkarnation von Florence Nightingale sein – und als Chefin wohl ein Segen für die Menschheit. Obwohl ich sie mir als meinen Boss nicht vorstellen kann. Andererseits liegt sie ihren tatsächlichen Mitarbeitern wohl auch nicht täglich heulend in den Armen.
Ich bin ja nur die Pilotin. Habe also mit dem ganzen Kram, den wir hier machen, nicht wirklich viel zu tun. Ich sitze im Cockpit, sehe mit meinen drei Streifen auf den Schultern schick und ofiziell aus, und trinke täglich die Kaffeemaschine leer.
Ich werde nicht bezahlt, das ist aber auch schon das Einzige, das ich finanziell beitrage. Cheyenne ist die mit dem dicken Portemonnaie.
Conny, meine Chefin und eigentliche Leiterin und Organisatorin der Flüge, habe ich seit Tagen nicht zu Gesicht bekommen. Dabei könnte ich mir mit ihr schon eher eine kleine Eskapade vorstellen. Sie kommt meinen erotische Interessen näher. Dass jemand wie Cheyenne in meinen Armen liegt und heult ist wirklich süß. Aber sexy ist es nicht. (Jedenfalls nicht für mich.) Wenn Conny mir eine Ohrfeige verpassen würde, weil ich widerspreche, schon.
Aber das bin ja nur ich.
Mein Dämon hat mir vorgeschlagen, Conny so lange zu provozieren, bis sie gar nicht mehr anders kann als mir eine zu feuern. Mazikeen sagt, darin wäre ich doch Expertin. Im Provozieren, meint sie. Doch bei Conny funktioniert das nicht: Sie würde mir dann lediglich von oben herab und emotionslos sagen, dass ich gefeuert wäre. (Bei dem Gedanken an das “von oben herab” werde ich nass. Ernsthaft nass.) Ich kann es aus zwei Gründen nicht ausprobieren: Erstens will ich nicht als unbezahlte Pilotin gefeuert werden und zweitens ist die Frau nicht hier. Hier gibt es nur Cheyenne, einen uninteressanten (weil männlichen) Copiloten und mich.
Das Flugzeug weigert sich übrigens schon von Anfang an, die Signale der automatischen Landesysteme wahrzunehmen. Was natürlich nicht dramatisch ist – sowohl mein XO als auch ich fliegen ILS-Landungen sowieso lieber von Hand, wir sind ja keine Rookies mehr. Eigentlich jedoch müssen wir uns wenigstens an die Gleitpfadanzeige halten, was (in Ermangelung einer solchen) mittels Karten ein aufwendiger Zwei-Mann-Job und ziemlich mühsam ist. Außerdem müssen wir das Wetter an den Zielflughäfen jetzt noch genauer beobachten, denn bei Nebel oder bei heftigem Niederschlag ist eine Landung von Hand nicht drin. Okay, das interessiert hier keinen, doch ich fürchte, die Excel muss in Kürze in die Werkstatt, da die Fehlersuche über Nacht bislang erfolglos geblieben ist.
Aber wenn der Krieg in der 🇺🇦 weiter so eskaliert, sehe ich mich ohnehin recht bald einen Militärfrachter pilotieren. (“Frieden schaffen ohne Waffen” hin oder her: Wenn meine [Wahl]Heimat angegriffen wird, verstehe auch ich keinen Spaß mehr.) Was aber alles nicht bedeutet, dass bei Friedensverhandlungen die Konzessionen nicht durchaus weh tun dürfen. Nichts ist wichtiger als die unbeteiligte oder – wie im Fall von 🇷🇺 – die unbedarfte oder uninformierte Bevölkerung zu schützen.
Wir leben im 21. Jahrundert, wir müssen besser sein als unsere Vorfahren, verdammt!
