So schlimm ist die Angst
April 23, 2022Es war nicht spektakulär. Es war nicht aufregend. Aber es war real. Viel zu real.
Der kleine Flughafen in Moldawien wirkt – sind wir ehrlich – ein wenig heruntergekommen. Die Folge von jahrzehntelangem Geldmangel. Vergleicht man ihn mit englischen oder deutschen Standards, muss man sich wundern, dass hier überhaupt Flugzeuge starten und landen dürfen. Und doch sind wir mitten in Europa. Das West-Ost-Gefälle wird hier mehr als deutlich.
Eigentlich hatten wir hier nur eine kleine Gruppe von Menschen erwartet. Wir hatten niemanden, außer den Behörden, über unsere Ankunft informiert. Drei Leute haben wir ausgeflogen, mehr schafft unsere “kleine” Diamond nicht, zählt man den Schäferhund mit, der zu der kleinen Familie gehört, und das Gepäck, das sie mit sich tragen. Der Flieger ist am Rand seiner Kapazität.
Die anderen Flüchtlinge, die unaufgefordert am Flugplatz erschienen waren, mussten wie unverrichteter Dinge abweisen. In Hauptsache junge Frauen und Kinder sind es, die einen einfacheren und schnelleren Weg Richtung Westen suchen, als ihn die überfüllten, unpersönlichen Reisebusse und Züge bieten.
Doch wir können keine anderen Menschen mitnehmen als diejenigen, deren Einreise meine Ex-Chefin Conny vorbereitet hat.
Ein Extrageschirr für Blindenhumd Hans ist dabei sowie seine beiden Schüsseln und eine Decke, die als Körbchen dient. Seine eigentliche Schlafstätte und der Futterständer mussten zu Hause bleiben. “Zu Hause”, das ist ein kleiner Ort in der Nähe vom Mariupol. Ausserdem verladen haben wir einen Rollstuhl, zwei Fotoalben aus einem früheren Leben, einen zerfledderten Teddy (eine Erinnerung an eine ferne Jugend), zwei Koffer mit Kleidung und eine Tasche mit Papieren und Unterlagen, die Denys bewacht wie ein Vater seinen Dreijährigen. Drin ist nicht mehr und nicht weniger als sein offizielles Leben und das seiner blinden Frau Nadya (beide Namen geändert). Und ihre Ersparnisse. Ausserdem ein Ersatzradlager für seinen Rollstuhl.
120 Jahre alt sind sie zusammengerechnet und sie haben ihr ganzes Leben in dem Ort verbracht, in dem heute russische Truppen “Menschenjagd machen”, wie Denys sagt. Das hat er von seinem 92-jährigen bettlägerischen Vater, von dem sie zuletzt vor zwei Wochen per Textnachricht gehört haben. Nicht von ihm direkt, sondern von einem Nachbarn, mit dem er vor dem Krieg jeden Tag Schach gespielt hat.
“Die Russen werden uns alle umbringen. Sie hassen uns weil wir besser sind.” Mit diesen Worten hatte damals sein leicht dementer Vater seinen gehbehinderten Sohn und seine nahezu blinde Schwiegertochter auf die lange Reise in den Westen geschickt. Denys wäre niemals geflüchtet, wären da nicht seine Frau und ihre panische Angst vor russischen Männern. Vor Vergewaltigung, für die sie berüchtigt sind, wie er erklärt.
Ich will das nicht werten, ich weiß nur, dass Nadya nicht in unser Flugzeug gestiegen wäre, wenn Cheyenne und ich Männer gewesen wären. So schlimm ist die Angst.
Eigentlich sollte mich das alles nicht so sehr berühren, ich bin nur die Pilotin, und nichts von dem was ich tue ist heroisch. Ich bin lediglich eine kleine Hexe, die gerne fliegt. Cheyenne und Conny sind diejenigen, die diese Flüge möglich machen. Es ist Connys Flugzeug und Cheyennes Geld. Und beider Enthusiasmus und Herzensgüte.
Gemeinsam ist uns lediglich der Hass auf den Krieg.

Tolle Aktion von Euch. 👍
Wie ich schon sagte: Ich bin nur die Pilotin. Nichts Besonderes dabei hin und her zu fliegen.
Auch wenn du „nur“ die Pilotin bist:Du bist geflogen und hast mit den Initiatorinnen für drei Menschen und den Blindenhund ein neues Leben ermöglicht. Ihr habt etwas getan, was wirklich hilft. Das ist nicht selbstverständlich. Die Allerwenigsten kriegen heute noch ihren Arsch hoch . Finde die Aktion toll